Ehrlich gesagt weiss ich gar nicht, wo ich anfangen soll zu
schreiben oder zu erzählen.
Das was ich sicher weiss ist, dass dieser Blogpost ein
langer Post werden wird.
Eigentlich ist ein großes Lebensmotto von mir, angelehnt an
eines meiner liebsten Aphorismen von Rabindranath Tagore.
Einem indischen
Schriftsteller und Philosophen:
Am Himmel lass ich keine Spur
von meinem Flug; dass ich geflogen bin, das Glück ist mir genug.
Das heißt für mich übersetzt, es muss nicht immer viel
darüber gesprochen werden was getan wurde. Sondern DAS es getan wurde, ist der
Mittelpunkt.
Dennoch möchte ich Euch
heute gerne von meinen letzten Monaten erzählen.
Was der eigentliche wahre Grund ist, warum es hier im Blog
und Rund um Charlotte Fingerhut so ruhig ist.
… und vielleicht auch, warum ich mich die letzten Monate ein
Stück weit verändert habe.
Die Medien – welcher Art auch immer – sind voll von
Berichten über den Weltterror, flüchtende
Menschenmassen. Tote, Schmerz, Pein, Verzweiflung, Krieg,
Hass.
Voll von schlauen politischen Kommentaren die so weit von
der Realität entfernt sind wie Neptun von der Sonne. Von scheinbar realitätsnaher
Berichterstattung aus dem eigenen Land sowie den Brennpunkten der Erde … die
uns lediglich suggerieren was wir glauben sollen.
Nicht mehr, nicht weniger.
Ich selbst lese seit Monaten kaum noch in den Medien. Zum
einen aus o.g. Gründen zum anderen weil ich mir lieber mein eigenes Bild davon
mache.
Mittendrin im Geschehen.
Mittendrin in einer völlig neuen
Welt.
Weit weg von bunten Stoffen und Bändern. Fröhlichkeit,
Schnittmusterbergen, Hochglanzfotos, Lifestyle und dem Drang immer schöner und
besser als andere sein zu wollen.
Mittendrin in einer Welt voller Dunkelheit. Kälte. Hass.
Traurigkeit. Angst. Schmerz. Verzweiflung. Tod.
Auf den ersten Blick.
Der zweite Blick zeigt mir jedoch Dinge wie Hoffnung, Licht,
Vertrauen, Toleranz, Wertschätzung, Dankbarkeit, Liebe.
Fragt ihr Euch, was redet die da eigentlich?
Manchmal frage ich mich das auch. Und meine Mitmenschen sich
auch.
Seit langer Zeit engagiere ich mich für Asylsuchende.
In den letzten knapp
6 Monaten jedoch sehr intensiv. Denn wir haben hier am Ort
eine große zentrale Unterkunft für Asylsuchende. Der
Regierung.
Das heißt konkret, dass in diesem „Camp“ gute 60 Menschen
untergebracht sind. Unterschiedlichster
Nationen, unterschiedlichsten Alters. Unterschiedlichster
Religionen. Unterschiedlichster Kultur.
Dennoch verbindet alle etwas gemeinsam: Der Wunsch nach
Frieden und Liebe.
Die Realität sieht so aus, dass die Regierung leider eher
weniger bis gar nicht interessiert ist.
Weder zeitlich noch menschlich. 2 – 3 wöchentlich kommt ein
Mitarbeiter. So leise wie möglich
setzt er sich in sein Büro, damit auch niemand mitbekommt
das er da ist … um nach kürzester Zeit, die Unterkunft wieder zu verlassen.
Lediglich zuverlässig ist eine liebe Mitarbeiterin der
Caritas die einmal wöchentlich für ca. 4 Stunden das Camp besucht. Ihr könnt
Euch vorstellen, dass dies an Zeit nicht ausreicht.
Tja, was würde aus diesen Menschen im Camp werden, wenn es
keine ehrenamtlichen Hilfskräfte gäbe. Die unterstützen. Beraten. Helfen. Trösten.
Organisieren.
Wir sind hier ein am Ort ein sehr gut durch- organisierter
und strukturierter Arbeitskreis und für das Camp ist hauptsächlich ein sehr
kleines Team von 2-3 Personen zuständig … dem von einigen Hilfskräften
zugearbeitet wird. Eine Person dieses Teams bin ich.
Ja ich. Kleine unscheinbare Marina. Die den größten Spaß
hatte, die bunteste Kreationen zu nähen. Während im Hinterkopf immer die Gedanken
an den Weltunfrieden spukten.
Da steh ich nun, mittendrin im Geschehen. Und bin auf einmal
ganz klitzeklein und dennoch soviel mehr als „nur“ eine Nähtante.
Helfer. Ansprechpartner. Seelsorger. Krankenschwester. Freund. Ersatz“mama“. Familie.
Die ersten Wochen nach der Ankunft der Camp-Bewohner – das war
Anfang Juni – waren wir damit beschäftigt die natürlichsten Dinge zu
organisieren.
Zum Teil nur mit dem bekleidet was sie am Leib trugen.
Manche ohne Socken. Die nächsten ohne Jacke, frierend im eiskalten Juni, weil
sie suptropische Temperaturen gewohnt waren.
Mit Schmerzen. Physikalischer Natur. Von den psychischen
Schmerzen ganz zu schweigen.
Wir organisierten eine menschenwürdige Grundausstattung …
neben der Grundaustattung die von der Regierung gestellt wurde – bestehend aus
Bettdecke, Kissen, Teller, Tasse, 1 Topf, Messer, Gabel, Löffel – fehlte es an
allen Ecken und Enden.
Eine Mama fragte mich nach einer Schüssel … denn mit 1 Topf …
wie sollte sie da Reis kochen und eine „Soße“ dazu?
Völlig normale Dinge.
Wir vereinbarten Arzttermine, begleiteten zu Behörden und
versuchten Ihnen die Ankunft so herzlich wie möglich zu gestalten. Denn an
einem einzigen Blick in die Augen dieser Menschen konnte man fühlen welchen
Schmerz und Traurigkeit sie in sich tragen.
Neben den bereits erwähnten Dingen sind es unzählige weitere Dinge und "Probleme" vor denen man so steht.
- Reunion
- Sprachunterricht
- Krankenversicherung
- gemeinnützige Tätigkeit
- Mülltrennung
- Dublin Verfahren
- Wohnungssuche für die zuerkannten Asylbewerber
- Bestallung von Minderjährigen durch einen Vormund
..... nur um einiges aufzuzeigen.
Desweiteren organisieren wir vom Arbeitskreis immer wieder besondere Aktivitäten ...w ie z.b
- Schwimmkurse
- Fest der Kulturen
- ehrenamtlicher Sprachunterricht von Realschulabsolventinnen und -solventen
- Eislaufen
- Bibliothek
- ......
40 Wochenstunden direkt vor Ort sowie zahlreiche Telefonate
von zu Hause aus erfüll(t)en meinen Tagesablauf.
Ohne nur ein einziges Mal
daran zu zweifeln, ob es vielleicht falsch sein könnte was ich da tue.
Auch wenn sich zu Hause die Bügelwäsche stapelte, ebenso die
Staubschicht auf den Schränken, für Lesen, Nähen, Freunde treffen keine Zeit
mehr blieb, so war es einzig allein mein Herz das entschied
Das dieser Weg der Richtige ist.
Wohin mich diese Woge tragen würde vermochte ich nicht zu
wissen.
Oftmals am Abend fiel ich erschöpft in mein Bett.
Gefangen
in einem Gedankenkarussell aus Erlebten und Empfundenen.
Tränen begleiteten mich in den Schlaf.
Gefolgt von Träumen
die mich noch Tage beschäftigten.
Mir gezeigte Bilder und Videos aus den Herkunftsländern, die
sich in meine Seele gebrannt hatten.
Die Zeit verging, Wochen vergingen und langsam kehrte nach
langer harter Teamarbeit ein wenig Struktur in das Camp. Struktur die auch die
Bewohner ganz dringend nötig haben.
Man lernte sich kennen.
Näher als nur „Das ist Ali aus Zimmer U24“ … sondern das ist
Ali aus Syrien. Ein junger Vater der nur mit seinem kleinen Neffen Ahmed (5) zu
uns kam. Die Familie im Krieg verstorben. Mit Augen des Kindes so tiefschwarz
funkelnd wie Sterne gefüllt mit Traurigkeit
Einsamkeit Schmerz und der Sehnsucht nach der Liebe seiner
Mutter.
Oder näher als nur „Machmut aus Zimmer G13“ das ist Machmut
aus Syrien.
Ein junger, humorvoller Mann der als einziger vom
Terrorregime IS verschont wurde,
während seine Freunde und Arbeitskollegen neben ihm völlig
wahllos hingerichtet wurden.
Nackt, zitternd, stieg er über die toten Körper der Menschen
die er gerne hatte um
das Weite zu suchen.
Der Blick in seine Augen , lässt einen versinken … in eine
Welt die wir uns hier nicht vorstellen können. Es anmaßend wäre uns ein Urteil
darüber zu erlauben ohne je mittendrin gewesen zu sein.
Mittendrin in der ständigen Angst um das eigene Leben. Um
das Leben der Menschen die man liebt.
Es ist auch nicht nur „Ozro aus Zimmer E10“ sondern. Es ist
Ozro aus Äthiopien. Der vor politischer
Verfolgung und Folter aus seinem Land floh. Aus einem Staat
der sich demokratische Republik nennt.
Wo auf Menschenrechte keinen Wert gelegt wird.
Geflüchtet über mehrere Monate … durch den Sudan – dort von
einer Terrormilliz überfallen worden. Mit angesehen wie Frauen und Kinder erschossen
wurden. Geflohen über das Mittelmeer in einem völlig überfüllten Boot mit
hunderten von verzweifelten Menschen auf der Suche nach Frieden und Freiheit.
Die Berührung seiner Hand auf meiner Haut fühlt sich warm
und zurückhaltend an. Der Blick hingegen voller Hoffnung und Zuversicht.
Begleitet von Sehnsucht und Trauer.
Könnt ihr Euch vorstellen was es in einem selbst bewirkt
wenn Du auf einmal damit konfrontiert bist, mit etwas das eigentlich „ganz weit
weg“ ist? Denn eigentlich ist es so nah.
Nur viele Augen verschliessen sich vor der Realität.
Auch ich war nicht nur länger „Marina „ sondern ich war
Marina, (m)ein Freund, Familie.
Blindes Vertrauen.
Wenn es die Zeit irgendwie zu lässt, führen wir Gespräche.
Politisch. Humanitär. Voller Wärme erzählen sie von ihrer eigentlichen
ursprünglichen Heimat. Von ihren Familien. Von ihren Sehnsüchten, Träumen,
Wünschen, Hoffnungen. Die sich von unseren Vorstellungen nicht unterscheiden.
Wir essen zusammen, weinen zusammen, lachen zusammen. Halten
Hände. Nehmen in den Arm. Trocknen Tränen.
Auch meine Tränen wurden mehrmals auf liebevolle Art und
Weise von diesen Menschen getrocknet.
„Diesen Menschen“ … die nicht gleicher zu uns hier sein
könnten.
WENN man den Mensch sieht.
Nicht nur das was einem die
Medien erzählen. Nicht nur das was man sehen will.
Sondern wenn man genau hinsieht. Zwischen den Zeilen liest.
So vergingen die letzten Monate wie im Flug.
Für mich selber ist es schon lange nicht mehr „nur“ eine
ehrenamtliche Tätigkeit für den Arbeitskreis Asyl.
Denn irgendwann stehst Du vor der Entscheidung – wie weit
gehe ich?
Bleibt es eine „Arbeit“ die sehr notwendig ist.
Investiere
ich Zeit, Engagement, Wissen.
Oder ist eine Herzensangelegenheit bei der ich neben o.g.
Dingen zusätzlich noch
Liebe investiere.
Ihr wisst, ich bin ein Herzmensch. Daher musste ich keine
Entscheidung treffen.
Sondern für mich war es klar, dass ich irgendwann „ganzheitlich“ da
drin stecken würde.
Und ich bin auch der Meinung nur so kannst Du diese „Arbeit“
zu 100% machen.
Denn wenn ich eines ganz sicher weiss, nach diesen letzten
Monaten ist es, dass was diese Menschen die zu uns kommen am meisten brauchen –
neben Organisation und Koordination von
alltäglichen wichtigen Dingen – ist
Wertschätzung & Liebe.
Gibst Du das, bekommst du es millionenfach zurück.
Und das ist etwas, was eines der wundervollsten Dinge ist,
die mir jemals wiederfahren sind.
Werte die ich erfahre, die mir bislang verborgen waren.
Ich kaum in Worte fassen kann was ich empfinde wenn ich darüber nachdenke.
Diese Liebe, Dankbarkeit, Wertschätzung die mir geschenkt
wird.
Egal ob Jung oder Alt, Kind oder Erwachsener, Mann oder
Frau, Christ oder Moslem.
Leuchten an einem Tag meine Augen nicht, gibt es mindestens einen Menschen im
Camp , der das bemerkt und versucht mich zu trösten.
Fühle
ich mich nicht gut, ist es mindestens ein Mensch im Camp, der mit Tee bringt.
Jeden Abend lese ich zahlreiche Nachrichten mit den besten
Wünschen für die Nacht auf meinem Smartphone. Ebenso am Morgen.
Ich bekomme kleine und grössere Geschenke. Werde bekocht.
Zum Kaffee eingeladen.
Voller stolz mit mir erste Konversationen in Deutsch
geführt.
Aber das schönste Geschenk für mich ist es, einen Platz in den
Herzen dieser Menschen gefunden zu haben.
Wie hat neulich Bshar an seinem Geburtstag zu mir gesagt:
„ Seit ich in Deutschland bin, fühle ich mich einsam und
leer, hoffnungslos. Danke dass Du an meinem Geburtstag da warst. Es war, als
wenn meine Familie um mich gewesen wäre“
…. Oder der Text einer Whatts-App Nachricht, die direkt mein
Herz getroffen hat:
Being mom of sixty two people of different cultures never
makes you old , but that means you hold a very big heart inside you!
-> Thank you Mahmoud. If you read this – I appreciate you and your words very
much.
Das ist der größte Dank für das was in den letzten Monaten
alles getan wurde.
Das „entschädigt“ für jede geweinte Träne, für jede
verpasste Stunde Schlaf, für jeden grantigen Telefonanruf der Regierung wenn
die Ehrenamtlichen wieder mal die Arbeit der Regierungsmitarbeiter nicht
anständig verrichtet haben (???) , entschädigt meine für aus rechtspolitischen Gründen
eingeschlagene Autoscheibe. Entschädigt für die zahlreichen Diskussionen und
Vorwürfen von Menschen im Freundes- und Familienkreis die mein Engagement weder
verstehen, verstehen möchten oder verstehen können.
Da steh ich nun, manchmal mit dem Gedanken davon fliegen zu
wollen. Die Welt retten zu wollen.
Irgendwo auf der Welt. Oder hier.
Mein Herz ist erfüllt von Dankbarkeit und Mitgefühl.
aber meine Seele weint über soviel Leid.
Viele belächeln das. Vielleicht auch Du – lieber Leser.
Aber eines ist für mich ganz klar …. Auch wenn wir die Welt
nicht retten können, so dürfen wir keinen Tag aufhören es wenigstens zu
versuchen!
Ansonsten ist alles verloren.
{Ich bin Marina}
{Ich bete für den Frieden} |
Innige Herzensgrüsse
Marina.
Hier noch ein paar fotografische Eindrücke der letzten Monate:
Sprachunterricht durch die Absolventen der Realschule |
Öffentlichkeitsarbeit. |
Aufrichtige Anteilnahme der Asylsuchenden aller Nationen aufgrund der Anschläge jüngst in Paris. |
Blumen & Kerzen wurden niedergelegt. |
Islam ist Frieden. #notinmyname |
Weltherz-Tag |
Weltherztag 2 |
Babyglück |
Unsere "youngsters" im Team haben mit einigen der Bewohner die "Kirwaparty" unsicher gemacht :) |
Mathilda und ein wunderbarer kleiner Junge.....---> |
Deutschunterricht mit 4 verschiedenen Nationen |
Alles was der kleine A. braucht ist Geborgenheit und Liebe. |
Geburtstagsfeier (s.o.) |
Friedensgedenkveranstaltung im Kloster |
Friedensgedenkveranstaltung der Diözese |
auch wenn es meine letzen Gartenblumen waren .... der kleine A. hat es direkt in mein Herz geschafft. 'bhabbik* |
Davon lass ich mich nicht aufhalten! |
Fest der Kulturen |
Eisstadion. Für alle ein aufregendes Erlebnis. |
St. Martinsfest |
Letzte Teambesprechung (nicht im Bild. M. Thapa) |
Multikulturelles Fussballturnier |
Sprachunterricht in der Realschule |
Gemütliches Beisammensein |
Äthiopische Neujahrsfeier zum Jahr 2008 im September |
Alle lustigen Dinge sind 2 :-) |
Alphabetisierungskurs |
Wöchtentliches "Meeting" mit allen Bewohnern. |
Wöchentliches Meeting, hier mit Power Point Präsentation zum Thema Mülltrennung und Feueralarm. |
Äthiopischer Besuch in meiner Küche! |
- und an meinem Esstisch. |
*Für die schlechte Qualität der Bilder entschuldige ich mich. Es sind ausschliesslich Handyfotos.
*Privatfotos